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Indexexperte: "Wie beim Eisberg läuft bei ESG-Ratings viel unter der Oberfläche ab" - Fondsnews


03.11.23 15:00
FONDS professionell

Wien (www.fondscheck.de) - Mit dem Wachstum börsengehandelter Indexfonds steigt auch die Nachfrage nach Barometern, die Märkte abbilden, so die Experten von "FONDS professionell".

Besonders die Zahl der Anleihe- und Nachhaltigkeitsindices sei zuletzt geklettert, berichte Indexexperte Christian Schmitt. Investoren sollten aber genau hinschauen.

Der Markt für Börsenbarometer wachse. "Die Anzahl der Indices ist allein im vergangenen Jahr um vier Prozent gestiegen", berichte Christian Schmitt, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule der Bayerischen Wirtschaft, im Gespräch mit FONDS professionell. "Mittlerweile werden mehr als drei Millionen Indizes berechnet, rund die Hälfte davon auch täglich." Ein Grund für das Wachstum sei das Geschäft mit börsengehandelten Indexfonds (ETFs).

Das in den Indexfolgern verwaltete Vermögen lege seit Jahren zu. Mit immer neuen Produktauflagen nehme auch die Nachfrage nach Barometern zu, die den Fonds zugrunde lägen. Das befeuere die Umsätze von Indexanbietern wie MSCI, S&P Dow Jones oder FTSE Russell. Diese seien 2022 auf das Rekordhoch von 5,33 Milliarden US-Dollar geklettert, wie die Beratungsgesellschaft Burton-Taylor Consulting errechnet habe.

Die zunehmende Zahl an Indices entspringe zwei Bereichen: Nachhaltigkeit und Anleihen, berichte Schmitt. "Aktienbarometer sind bereits gut vertreten. Rentenindices sind dagegen stark im Kommen", erläutere der Finanzprofessor. Die Komposition der Barometer sei aber komplexer. "Aktienindices gleichen ein wenig den Grundrechenarten", erläutere der Wirtschaftsingenieur. "Die Berechnung ist relativ simpel und läuft praktisch nebenher."

Bei Anleihen sehe das schon wesentlich komplizierter aus. "Mehrere Faktoren spielen hier eine Rolle: Wie werden Anleihen bewertet? Wie lange laufen sie? Wie werden die Kupons einberechnet? Und welche Anleihe nimmt den Platz im Index ein, wenn eine fällig wird?", zähle Schmitt auf und warne: "Investoren sollten bei Anleihen-Barometern genau aufpassen, was sich hinter einem Index verbirgt."

Gleiches gelte Schmitt zufolge für das andere Wachstumsfeld. "Auch bei nachhaltigen Barometern sollten Investoren aufpassen, wie der Index definiert ist", so der Professor. "Viele Fragen bei der Definition von Nachhaltigkeit sind noch offen." Viele Indices würden lediglich mit Ausschlusskriterien arbeiten, also einer Negativselektion. Andere wiederum wollten über die Gewichtung die Unternehmen fördern, die bei Nachhaltigkeit zu den Vorreitern zählen würden.

Noch viele Fragezeichen sehe Schmitt bei der Datenbasis von Barometern, die ökologische, soziale oder ethische Faktoren (ESG) aufgreifen würden. "Wie bei einem Eisberg läuft bei ESG-Ratings viel unter der Oberfläche ab. Bislang wird wenig überprüft", sage der Indexexperte. Viele Daten würden die Unternehmen rein freiwillig melden. Oftmals sei unklar, wie die Ratinganbieter die Daten weiterverarbeiten würden. "Dieser Eisberg sollte langsam aus dem Wasser gehoben und eine größere Transparenz in die Daten gebracht werden", plädiere der Professor.

So kämen bei ESG-Ratings die verschiedenen Anbieter für ein und dasselbe Unternehmen häufig zu völlig unterschiedlichen Einschätzungen. Bei den herkömmlichen, an Finanzkennzahlen ausgerichteten Bonitätsbewertungen würden die drei großen Agenturen S&P Global Ratings, Moody's und Fitch dagegen eher ähnliche Noten fällen. "Am Ende muss für die Definition von Nachhaltigkeit eine Regulierung her", fordere Schmitt. "Das kann nicht alleine dem Markt überlassen werden. Sonst würden wir vermutlich heute noch mit verbleitem Benzin fahren." (News vom 02.11.2023) (03.11.2023/fc/n/s)